Gerne würde ich das Interview mit Fragen zur aktuellen Situation der Prostituierten im Allgemeinen und ihrer persönlichen Lage beginnen. Prostitution gehört zu den Branchen, die am härtesten von der Corona Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen und Verboten betroffen sind. Seit März 2020 bis einschließlich heute sind die Bordelle in Hessen durchgehend auf Grund der Pandemie und den damit einhergehenden Corona Maßnahmen geschlossen. In manchen Bundesländern wurde die Sexarbeit ausdrücklich verboten, in anderen gab es kein grundsätzliches Verbot der Sexarbeit, aber ein Öffnungsverbot für Prostitutionsstätten. Eine besondere Situation, in der wir das Interview führen.
IN WELCHER FORM SIND SIE VON DEN BORDELLSCHLIESSUNGEN BETROFFEN? WELCHE AUSWIRKUNGEN HAT DIES FÜR SIE UND DIE AUSÜBUNG IHRES BERUFS?
Júlia: Nun, wir
können nicht arbeiten.
Manuela: Wir
können alle nicht arbeiten.
Amelia: Kein Geld, kein Leben. Es ist sehr schwer, die Wohnung zu bezahlen und das
alltägliche Leben.
Carmen: Es hat
mich in allen Bereichen betroffen. Wirtschaftlich und damit auch gesundheitlich.
Ich leide an Diabetes. Letzte Woche wäre ich deshalb fast ins Krankenhaus
gekommen. Ich wohne zurzeit bei einer Freundin, der ich im Monat 300
Euro als Mietzuschuss gebe, dann bleiben mir noch etwas über 100 Euro übrig. Mit
meinem Diabetes soll ich mich nicht schlecht ernähren, ich muss genau auf mein
Essen achten. Das ist aber unter diesen Umständen kaum möglich – mir fehlt das
Geld. Mein Blutzuckerwert lag letzte Woche fast bei 500. Ich habe ein
Nierenproblem bekommen wegen der schlechten Ernährung. Die Medizin kostet fast
40 Euro, da bleiben ca. 60 Euro im Monat übrig. Mit 60 Euro kann ich nicht
überleben.
Claudia: Die
Bordellschließungen haben große finanzielle Auswirkungen. Bei mir wirkt sich
das vor allem auf die Bezahlung der Miete aus. Denn die Unterstützung, die der
Staat uns gibt, reicht gerade mal zum Überleben, für mehr nicht.
Maria: Die Wahrheit
ist, dass wir mit 446 Euro nicht leben können. Davon können wir keine
Unterkunft bezahlen. Wir wohnen zurzeit bei Freunden und Bekannten. Ich zum
Beispiel muss alle zwei Wochen umziehen. Manchmal bin ich am Bahnhof, wenn ich
keine Unterkunft finde. Wie soll ich leben, wenn mich niemand aufnimmt? Was soll
ich essen?
Zuzanna: Ich bin
davon nicht betroffen, weil ich nicht im Bordell arbeite.
Ella: Ich arbeite zwar nicht im Bordell,
aber meistens über eine Vermittlungsagentur und die hat jetzt aktuell auch
geschlossen. Dadurch verdiene ich jetzt einiges weniger als früher. Denn die
Agentur hat viel höhere Preise vereinbart, als es online auf „kaufmich“ üblich
ist. Mit der Agentur hatte ich auch weniger Arbeit, Kunden zu suchen und
Werbung zu machen. Aktuell arbeite ich ohne Agentur, aber das gibt weniger Geld
bei mehr Arbeit.
Zuzanna: Bei mir ist es so, dass ich wegen
Corona viel weniger arbeite. Das mache ich aber eher aus einem Gefühl der
Unsicherheit heraus, wie viel ich mich mit Kunden treffen kann oder möchte. Bei
mir hat das nicht so viel mit Verboten oder gesetzlichen Regelungen zu tun.
WAR ES IHNEN MÖGLICH, IHREN LEBENSUNTERHALT OHNE ZUSÄTZLICHE FINANZIELLE UNTERSTÜTZUNG ZU BESTREITEN?
Amelia: Nein, das
ist schwierig. Vom Staat habe ich über drei Monate 446 Euro bekommen, das ist aber
ungefähr wie Taschengeld. Meine Familie hat mir aber ein bisschen geholfen.
Júlia: Nein, das war nicht möglich, aber ich hatte
das Glück, dass sie mich tatsächlich finanziert haben, also der Staat.
Ella: Nein, ich
verdiene zwar noch Geld mit einem anderen Job, aber ich bekomme zurzeit auch noch
ALG II.
ES GAB UND GIBT JA EINIGE STAATLICHE HILFSPROGRAMME UND SOFORTHILFEN FÜR DIE AM HÄRTESTEN BETROFFENEN BRANCHEN. AUCH FÜR SOLO-SELBSTÄNDIGE, ZU DENEN SIE IM GRUNDE ZÄHLEN, GAB ES CORONA-SOFORTHILFEN, ALLERDINGS GING ES DABEI UM DEN AUSGLEICH VON „BETRIEBLICHEN LIQUIDITÄTSENGPÄSSEN“ UND NICHT UM DEN AUSGLEICH VON „VERDIENSTAUSFÄLLEN“. DIESE KOPPELUNG DER SOFORTHILFEN AN BETRIEBSAUSGABEN WAR FÜR VIELE SOLO-SELBSTÄNDIGE UNZUREICHEND. DIES WURDE NICHT NUR IN DEM PROSTITUTIONSBEREICH, SONDERN AUCH IMMER WIEDER IM KULTURBEREICH BEKLAGT. IM KULTURBETRIEB GAB ES NACH UND NACH WEITERE HILFS- BZW. STIPENDIENPROGRAMME, DIE ÜBER DIE ERSTEN SOFORTHILFEN HINAUSGINGEN. WELCHE ZUSÄTZLICHEN MÖGLICHKEITEN DER UNTERSTÜTZUNG / HILFSFONDS WURDEN FÜR IHREN BEREICH INS LEBEN GERUFEN?
Carmen: Keine. Für uns gab es sonst keine
anderen Fördermöglichkeiten.
Júlia: Keine.
Ella: In Hessen
war das so, dass man über die Soforthilfe nur laufende Kosten abdecken durfte,
also zum Beispiel Ladenmiete, das fällt bei mir nicht an, deshalb habe ich das
nicht beantragt. Ich habe allerdings November- und Dezemberhilfe beantragt und
auch bekommen. Ansonsten bekomme ich ALG II.
Zuzanna: Ich habe mich darum gar nicht
gekümmert.
Ella: Dafür muss man auch eine
Lohnsteuererklärung machen. Also ohne Lohnsteuererklärung bekommst du auch
keine November- oder Dezemberhilfe.
AUCH FÜR SOLO-SELBSTSTÄNDIGE, OHNE DASS SIE AUSGABEN WIE MIETE HATTEN?
Ella: Genau, die November- und Dezemberhilfe entspricht etwa 75 % des Gewinns im vergleichbaren Zeitraum des Vorjahres. Und das muss man anhand der Steuererklärung nachweisen.
FÜHLEN SIE SICH IN DIESER SCHWIERIGEN LAGE AUSREICHEND VON STAATLICHER SEITE UNTERSTÜTZT?
Maria: Zu 20 % haben sie uns unterstützt, denn
die 446 Euro sind wenigstens etwas. Ja, sie haben uns Deutsch- und Integrationskurse
angeboten. Und teilweise haben sie angeboten, einen Teil der Fahrtkosten zu den
Kursen zu übernehmen. Aber mit 446 Euro kann man in Deutschland nicht leben und
erst recht nicht in einer Stadt wie Frankfurt.
Júlia: Nein, ich
brauche unbedingt Hilfe.
Ella: Nein. (Alle
anderen Gesprächspartnerinnen stimmen dem zu, Anm. der Redaktion)
WAS HÄTTEN SIE SICH AN UNTERSTÜTZUNG GEWÜNSCHT?
Amelia: Sie hätten
die Puffs wieder aufmachen sollen.
Carmen: Meiner Meinung nach, braucht
es größere finanzielle Unterstützung und die Bereitstellung einer Wohnung.
Claudia: Eine Wohnung!
Carmen: Im Moment suche ich eine
Wohnung und ich suche, suche, suche, aber da ich Geld vom Jobcenter beziehe, vermietet
mir niemand eine Wohnung. Die sagen alle sofort nein. Und wie Maria, ziehe ich
von einer Freundin zur nächsten, alle drei Tage.
Claudia: Eine eigene Wohnung würde
uns sehr helfen, damit man nicht ständig bei jemand anderem übernachten und hier
und dort etwas bezahlen muss.
Carmen: Eine Idee wäre, dass uns die
Stadt eine temporäre Unterkunft zur Verfügung stellt, wo wir schlafen und essen
können, bis die Situation vorbei ist.
Júlia: Die beste
Unterstützung wäre natürlich, die Bordelle wieder zu öffnen. Wenn das nicht
möglich ist, brauchen wir mehr finanzielle Unterstützung.
Ella: Vielleicht
so etwas wie Pauschalen, die unkompliziert ausgezahlt werden für Leute, die
selbstständig sind und keine Einnahmen mehr haben, oder so etwas ähnliches wie
die November- und Dezemberhilfe für alle Monate. Also etwas, was nicht ALG II
ist, denn das ist ja das Existenzminimum, so hat man vorher auch nicht gelebt
und so möchte man auch nicht leben.
Zuzanna: Ich denke, dass so etwas wie ein
Grundeinkommen angebracht wäre.
IN MANCHEN BUNDESLÄNDERN WERDEN SEXARBEITER*INNEN, SOLLTEN SIE ENTGEGEN DES TÄTIGKEITSVERBOTS ILLEGAL DER PROSTITUTION NACHGEHEN, MIT BUSSGELDERN BIS ZU 25.000 € (BRANDENBURG) BELEGT, WÄHREND IN ANDEREN TÄTIGKEITSBEREICHEN VERSTÖSSE NUR ABGEMAHNT ODER MIT GERINGEREN BUSSGELDERN BELEGT WERDEN. WORAN LIEGT ES, DASS ES HIER ZU EINER KRIMINALISIERUNG VON PROSTITUTION KOMMT?
Maria: Weil wir immer noch
diskriminiert werden. Auch wenn Prostitution in Deutschland seit 2016 legal
ist, werden wir hier immer noch vor dem Gesetz diskriminiert. Sie vermieten uns
ja auch keine Wohnung, weil wir nichts haben.
Carmen: Gleichzeitig zahlen wir aber
unsere Steuern.
Maria: Genau, wir zahlen Steuern! Seit 2016, seit die
Prostitution legal ist, haben wir Steuern bezahlt. Warum
haben wir also nicht die gleichen Rechte wie normale Arbeiter*innen?
Júlia: Ja,
ich denke, das ist Diskriminierung. Ich finde die Regeln sollten für alle
gleich sein.
Ella: Es kommt
wahrscheinlich auf die Politiker*innen an, die in den Bundesländern was zu
sagen haben, und wie sie zu Prostitution stehen, aber ich finde ein Bußgeld von
25.000 Euro nicht verhältnismäßig.
Amelia: Das ist ungerecht.
Zuzanna: Ich denke, es kommt daher, dass
Prostitution gesellschaftlich sehr schnell in die Ecke von Kriminalität
gestellt wird und dann ist es für viele wahrscheinlich auch naheliegend, das
auch weiterhin zu tun.
WIE ERLEBEN SIE DIE ÖFFENTLICHE DISKUSSION ZUM THEMA PROSTITUTION IM RAHMEN DER PANDEMIE-BESCHRÄNKUNGEN?
Amelia: Die Menschen reden schlecht über
uns. Jetzt wo wir auf der Straße arbeiten, gucken sie uns nicht gut an.
Maria: Die meisten Menschen denken
immer noch, dass Prostitution illegal ist, dass es keine normale Arbeit ist.
Dabei ist Prostitution in Deutschland ein völlig legaler, tolerierter und
normaler Beruf. Aber die Gesellschaft nimmt das nicht so hin.
Claudia: Sie akzeptiert es nicht.
Carmen: Aber Männer nehmen sie in
Anspruch, was das Traurigste ist. Denn wenn es diese Männer nicht gäbe, gäbe es
auch keine Prostituierten. Es ist ganz einfach: Gibt es keine Kunden, Gibt es keine
Prostitution.
Júlia: Die
Menschen wissen, dass wir Hilfe brauchen.
Ella: Es gibt ja
mittlerweile schon Stimmen die sagen, dass wieder geöffnet werden soll. Allerdings
wird in vielen Zeitungen und Fernsehnachrichten Prostitution fast immer als Armutsprostitution
dargestellt, und dass man keine andere Wahl hat und es kein Beruf ist, den man
sich ausgesucht hat. Und es wird dargestellt, als ob man sowieso schon immer im
Elend war und weiterhin im Elend ist.
Zuzanna: Ich habe das Gefühl, dass generell
sehr wenig darüber gesprochen wird, dass zum Beispiel hier in Hessen die
Bordelle schon so lange geschlossen sind. Im gesellschaftlichen Diskurs nehme
ich das fast gar nicht wahr und daran merkt man einfach, dass es den Leuten egal
ist, oder sie die Schließungen sogar befürworten. Ich meine, letztes Jahr fiel
das Wort „Seuchenschleuder“ in Bezug auf Prostituierte. Das Bild, dass
Prostitution irgendwie unhygienisch ist, passt natürlich jetzt in den Zeiten
von Corona für viele Leute sehr gut ins Bild.
LEISTEN DIE CORONABEDINGTEN EINSCHRÄNKUNGEN UND VERBOTE EINER DISKUSSION UM EIN GENERELLES PROSTITUTIONSVERBOT VORSCHUB? IMMER WIEDER WIRD VON VERSCHIEDENEN SEITEN EIN SEXKAUFVERBOT ODER EINE BESTRAFUNG VON FREIERN NACH DEM SCHWEDISCHEN VORBILD VORGEBRACHT. WELCHE MÖGLICHKEITEN DER BERUFSAUSÜBUNG WÜRDEN IHNEN BLEIBEN?
Maria: Ja, diese Diskussionen gibt
es absolut. Die Politiker*innen benutzen Corona, um unsere Lebensgrundlage zu
schließen. Es ist nur ein politischer Vorwand.
Amelia: Ich glaube
aber nicht, dass die Mehrheit der Menschen ein Prostitutionsverbot will.
Júlia: Hoffentlich
nicht, hoffentlich nicht. Aber das könnte passieren. Denn weißt du, momentan
nutzen einige Bundesländer die Pandemie, um die Bordelle nicht zu öffnen. Aber
am Ende der Pandemie werden sie hoffentlich wieder öffnen. Denn es ist normal.
Die Leute brauchen diese Orte, Männer brauchen die Befriedigung. Aber sollte es
doch zu einem Sexkaufverbot kommen, dann habe ich keine Möglichkeit der
Berufsausübung mehr. Wenn sie entscheiden, die Freier zu bestrafen, dann werden
sie nicht mehr kommen. Verstehst du? So wie in Frankreich.
Zuzanna: Ich denke,
es zeigt sich auch schon. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass einige
Bordelle nach den Lockdowns nicht mehr öffnen werden. Somit ist es jetzt schon
praktisch so, dass es einem Verbot Vorschub leistet. Vielleicht nicht ein
deutschlandweites Sexkaufverbot, aber es wird sich zeigen, dass die Branche
davon sehr geschwächt werden wird, vor allem ökonomisch, und auch geschwächt bleiben
wird.
Ella: Ich befürchte auch, dass es so
kommen könnte. Denn die Frauen werden immer nur als Opfer dargestellt. Und
dadurch fragt man sich natürlich, ob dieser Branche überhaupt geholfen werden
sollte, wieder auf die Beine zu kommen, wenn sowieso alles nur arme Leute und
arme Frauen sind, denen man vielleicht eher durch einen Ausstieg aus der
Prostitution hilft. Weil das Bild einfach so negativ gezeichnet wird, wie die
Frauen vorher gelebt haben und jetzt leben.
WÄHREND DER PANDEMIE WURDEN JA IMMER WIEDER VERSCHIEDENE HYGIENE- UND ÖFFNUNGSKONZEPTE FÜR BORDELLE DISKUTIERT (Z. BSP. FIEBER MESSEN VOR DEM EINLASS, DAS ABGEBEN VON KONTAKTDATEN, DAS TRAGEN VON MUND- UND NASENSCHUTZ WÄHREND DER ARBEIT, REGELMÄSSIGE DESINFEKTION ALLER FLÄCHEN). HAT ES PRAKTIKABLE KONZEPTE GEGEBEN, DIE EINE ÖFFNUNG VERTRETBAR GEMACHT HÄTTEN?
Carmen: Gute Hygienekontrollen und feste
Regeln würden uns schützen.
Zuzanna: Ich habe mir ehrlich gesagt keines
der Konzepte durchgelesen.
Ella: Viele der Konzepte, die ich jetzt im
Kopf habe, betonten, dass man ja auch mit Maske arbeiten könne. Das finde ich ehrlich
gesagt völlig ungeeignet. Sexuelle Dienstleistungen sind sehr körpernahe
Dienstleistungen, bei denen wir keine Masken tragen sollten, außer man ist
vielleicht im BDSM-Bereich tätig. Da wir ja immer nur 1:1 Kontakt haben, könnte
Bordelle auch wieder geöffnet werden, und natürlich müssten wir lüften und
desinfizieren, was wir ja vorher auch schon gemacht haben.
Amelia: In anderen Berufen mit
Personenkontakten wird auch gearbeitet, warum können wir nicht arbeiten? Es
gibt auch große Firmen, in denen viele Personen in einer Halle zusammenarbeiten.
Wir arbeiten nicht alle zusammen in einem Raum. Im Puff bleiben die Frauen
alleine an der Tür und sie bleiben alleine in ihrem Zimmer. Und es gibt viel
Hygiene, wir waschen uns immer.
WELCHE BEDEUTUNG KOMMT BORDELLEN INNERHALB DER PROSTITUTION ZU? AUS WELCHEN GRÜNDEN HABEN SIE SICH FÜR DIE AUSÜBUNG IHRES BERUFS IN EINEM BORDELL ENTSCHIEDEN?
Júlia: Bordelle sind viel besser, als auf der Straße zu arbeiten. Sie bringen mehr Sicherheit, mehr Hygiene.
WELCHE AUSWIRKUNGEN WERDEN DIE BORDELLSCHLIESSUNGEN UND DAS TEILWEISE VERBOT DER PROSTITUTION LANGFRISTIG AUF DAS GEWERBE HABEN?
Maria: Es wird
zur illegalen Prostitution
kommen, was noch schlimmer ist. Es werden keine Steuern mehr gezahlt. Und dann
verdient der Staat auch nichts mehr.
Claudia: Und die Frauen würden es
trotzdem tun. (gemeint ist, in der Prostitution arbeiten, Anm. der Redaktion)
Júlia: Viele Häuser haben schon
geschlossen. Weil die Mieten weiterhin gezahlt werden müssen, obwohl nicht
gearbeitet wird. Ich habe Freunde, die Häuser haben und sie müssen schließen.
Zuzanna: Ja, wie gesagt, ich denke es wird zu
vielen Schließungen kommen.
WESHALB WAREN IN HESSEN, ANDERS ALS IN ANDEREN BUNDESLÄNDERN DIE BORDELLE DURCHGEHEND GESCHLOSSEN, OBWOHL PROSTITUTION AN SICH NICHT VERBOTEN WAR?
Amelia: Das
war und ist falsch. Entweder soll überall
geöffnet und das ausprobiert werden, oder eben nirgends. Denn hier ist die
Pandemie nicht anders oder schlimmer, als in einer anderen Stadt. Keine Ahnung,
aber man hätte anders damit umgehen müssen.
Maria: Das ist einfach ein
politischer Trick, ein politischer Plan. Damit sie sich damit brüsten können,
dass sie die Prostitution hier in Frankfurt beendet haben. Nur dafür. Für ihre
Imageaufbesserung, nicht für uns, nicht für andere Menschen. Das ist alles.
Ella: Ich denke,
dem Gewerbe fehlen eine gute Lobby und eine gute öffentliche Darstellung. Bei
den Restaurants zum Beispiel haben alle Mitleid gehabt und es eingesehen, dass
die armen Restaurantbetreiber*innen nicht pleite gehen sollen, man konnte das
menschlich nachvollziehen, dafür wurde auch viel getan in der
Berichterstattung. Und bei den Bordellbetreiber*innen, wenn es eh alles so ein schlimmes
Gewerbe ist, warum sollte man dann für die Bordellbetreiber hoffen, dass sie
nicht pleite gehen? Und dann sind die Bordelle in der Prioritätenliste nach
unten gerutscht, im Vergleich zu Restaurants, Museen, Kinos – wo überall mehr
Leute sind, als in Bordellen, wo der Kontakt nur 1:1 ist. Ich glaube einfach,
dass den Bordellen die Sympathie gefehlt hat.
HAT DIES ZU EINER VERLAGERUNG DER PROSTITUTION IN EINEN INFORMELLEN SEKTOR GEFÜHRT?
Claudia: Ja, natürlich.
Carmen: Natürlich. Wegen der Not,
dem fehlenden Geld, den Verpflichtungen und Verantwortungen, die wir
Prostituierte haben: Familie, Kinder, für die Eltern, man arbeitet nicht nur
für sich selbst, sondern für die Familie.
Amelia: Ja, manchmal arbeite ich hier auf
der Straße und dann im Hotel. Aber nicht jeden Tag, weil ich nicht so viel Geld
verdiene und ich kann nicht jeden Tag das Hotel bezahlen. Ich arbeite vor allem
am Wochenende. Wenn es teuer ist, wollen die Freier nicht bezahlen. Im Puff
gibt es Security, draußen haben wir Angst zu arbeiten. Denn wer hilft uns im
Hotel, wenn es eine Notsituation gibt?
Maria: Es wird noch schlimmer
werden, denn die Mafias werden dies ebenfalls ausnutzen. Sie werden ohne
jegliche Kontrolle kommen können. Früher, als alles noch legal war, beantragte
die Frau zuerst ihren „Hurenpass“ und die Polizei hatte die Kontrolle darüber,
welche Frauen arbeiteten und welche nicht. Welche Kontrolle haben sie jetzt?
Gar keine!
Júlia: Ich denke
schon. Erstens: Die Frau muss arbeiten. Zweitens: Der Mann sucht Befriedigung.
Und da sie sonst keinen Ort haben, suchen sie sich einen Weg, sich zu
befriedigen. Und dann finden sie uns, wir karibischen Frauen warten auf sie. (Alle
lachen)
JETZT ARBEITEN FRAUEN ALSO HEIMLICH?
Júlia: Im
Geheimen, ja.
Ella: Ich sehe,
wenn ich durch das Bahnhofsviertel laufe, dass dort im Sperrgebiet gearbeitet
wird und nicht mehr im Bordell, was dann quasi ein informeller Sektor ist.
Ansonsten arbeiten Frauen über das Internet. Aber das gab es auch vorher schon.
Für die Frauen, die nicht so gut Deutsch sprechen, ist es auf jeden Fall
schwieriger geworden zu arbeiten und vielleicht auch ein bisschen gefährlicher.
ARBEITEN IM VERBORGENEN - WELCHE AUSWIRKUNGEN HAT DAS AUF DIE HYGIENE, GESUNDHEIT UND SICHERHEIT DER FRAUEN?
Maria: Es gibt keine Kontrolle, denn oft findet die klandestine Prostitution auf der Straße statt, in einem Auto, welche Kontrolle kann man haben, welche Sicherheit kann man haben, wenn sich ein Mädchen in einem Auto prostituiert? Sie kann getötet werden auf der Straße.
UND WIE SIEHT ES AUS IN BEZUG AUF DIE GESUNDHEIT?
Claudia: Es ist ein Risiko.
Maria: Sieh mal, auf der Straße hat
man keine Hygiene. Kann man sich auf der Straße die Hände waschen? Kann man
sich waschen? Das geht dort nicht.
WIE WAR/IST DER KONTAKT UND AUSTAUSCH IN DIESER ZEIT UNTER DEN IN DER PROSTITUTION BESCHÄFTIGTEN ORGANISIERT?
Maria: Es gibt keinen
Zusammenschluss, weil wir nicht in unserer Arbeitsstätte sind.
Carmen: Es gibt keine Verbindung, es
gibt nichts.
Claudia: Jede ist auf sich allein
gestellt, aber wir halten Kontakt per Telefon.
Júlia: Gut, gut,
gut. Ja, der Kontakt und Austausch bei mir ist gut.
Zuzanna: Bei mir hat
sich der Kontakt auf jeden Fall sehr eingeschränkt, weil man sich nicht mehr
persönlich treffen kann. Ich habe zu einigen, mit denen ich früher noch persönlichen
Kontakt hatte, Kontakt über Telefon oder online. Das ist aber nicht dasselbe
und das fehlt mir auf jeden Fall, weil ich finde, dass es gerade in dem Beruf
Prostitution sehr wichtig ist, sich mit Kolleg*innen austauschen zu können. Wie
man mit bestimmen Situationen, mit Kunden umgeht, oder auch organisatorische
Fragen, und das fehlt mir sehr.
Ella: Ich hatte sonst immer vor und nach
dem Date Kontakt mit der Agentur, und das habe ich jetzt nicht mehr, weil mich
die Agentur ja nicht mehr vermitteln kann.
IM SEPTEMBER 2020 GAB ES IN FRANKFURT EINE DEMONSTRATION UNTER DEM MOTTO „GRÜNES LICHT FÜRS ROTLICHT“. ES WURDE EIN „ENDE DER SCHLIESSUNG DER BORDELLE UND DIE RÜCKKEHR ZU AKZEPTABLEN ARBEITS- UND GESUNDHEITSSTANDARDS JENSEITS INFORMELLER STRUKTUREN GEFORDERT, IN DIE VIELE SEXARBEITER*INNEN DURCH DIE SCHLIESSUNG DER BORDELLE ABGEDRÄNGT WURDEN.“ KÖNNTEN SIE SICH VORSTELLEN, SELBST AKTIV ZU WERDEN UND FÜR DIE SOZIALEN UND POLITISCHEN RECHTE VON PROSTITUIERTEN ZU KÄMPFEN? WAS MÜSSTE PASSIEREN, WELCHE UNTERSTÜTZUNG UND BEDINGUNGEN WÄREN FÜR SIE VORAUSSETZUNG DAFÜR?
Maria: Ja das kann ich mir gut
vorstellen, wir können eine Demonstration planen.
Carmen: Wir können uns
zusammensetzen, Aufgaben verteilen, Arbeitsgruppen bilden, denn wir müssen uns
gut organisieren.
Claudia: Ja, es müsste gut
organisiert sein.
Carmen: Damit wir demonstrieren
können. Alle demonstrieren, jetzt sind wir dran.
Amelia: Ja.
Júlia: Ich kann mir zu 100 Prozent vorstellen,
für unsere Rechte zu kämpfen!
Ella: Ich setze mich schon politisch für
Rechte von Prostituierten ein.
Zuzanna: Unbedingt. Auf jeden Fall kann ich
mir das vorstellen. Aber wenn ich als Sexarbeiterin sprechen würde, dann würde
ich das anonym machen wollen.
WELCHE AUSWIRKUNGEN HATTE DAS PROSTITUTIONSSCHUTZGESETZ, DAS SEIT 2016/2017 IN KRAFT IST, AUF IHRE BERUFSAUSÜBUNG? (KERNELEMENTE DES GESETZES SIND DIE EINFÜHRUNG EINER ERLAUBNISPFLICHT FÜR ALLE PROSTITUTIONSGEWERBE UND EINER ANMELDEBESCHEINIGUNG FÜR PROSTITUIERTE, UMGANGSSPRACHLICH HURENPASS)
Maria: Es hatte starke
Auswirkungen, weil sie damit ein Gesetz erlassen haben, dass der Frau untersagt,
an ihrem Arbeitsplatz zu schlafen, weil dieser uns angeblich versklavt. Hat
jemand, der dieses Gesetz eingeführt hat, in der Prostitution gearbeitet?
Carmen: Nein!
Maria: Unsere Sicherheit zu
riskieren, indem wir unsere Arbeitsplätze verlassen, um woanders zu schlafen,
ist völlig unverständlich / ist nicht nachvollziehbar. Was haben sie dadurch
gewonnen? Nichts! Gefährdung der Sicherheit von Prostituierten!
Júlia: Das
Prostitutionsschutzgesetz ist gut für mich, weil ich dadurch legal bin. Ja, ich
bin legal, ich zahle meine Steuern. Für mich ist das positiv. Ich habe mein
Recht, Forderungen zu stellen. Wenn du zahlst, hast du das Recht, Dinge zu
fordern. Ich fühle mich nicht diskriminiert durch den „Hurenpass“.
Ella: Da ich erst nach 2017 mit der
Prostitution angefangen habe, weiß ich nicht wirklich, wie es davor war. Aber
das mit dem Sonderpass verstehe ich nicht. Warum soll man sich da registrieren,
ich sehe keinen logischen Sinn dahinter, außer Kontrolle. Also ich würde es
auch besser finden, ich müsste mich nicht registrieren.
Zuzanna: Ich habe mich nicht angemeldet, ich
habe den Pass nicht, weil ich es beängstigend finde, dass dann irgendwelche
Behörden meine Daten haben. Und es ist eben einfach so, dass in Deutschland,
obwohl Prostitution legal ist, sie gesellschaftlich nicht als normaler Beruf
anerkannt wird. Und deswegen möchte ich nicht, dass alle möglichen Behörden wissen,
dass ich in der Prostitution arbeite, solange dieser Beruf nicht als normal
angesehen wird.
HAT DAS GESETZ IHRE RECHTE GESTÄRKT UND FÜR MEHR GESELLSCHAFTLICHE AKZEPTANZ GESORGT?
Júlia: Ja.
Zuzanna: Nein, im
Gegenteil. Es ist eine gesonderte Behandlung von Prostituierten, aber nicht im positiven,
sondern im negativen Sinn.
Ella: Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen
wegen des Begriffs „Prostituiertenschutzgesetz“ davon ausgehen, dass das Gesetz
in irgendeiner Form Prostituierte schützt, aber sie wissen nicht, wie genau das
passiert. Und da man denkt, dass Prostituierte geschützt werden müssen, schließen
sie daraus, dass es dann eben doch kein normaler Beruf ist.
WAS IST NOTWENDIG, DAMIT PROSTITUTION MEHR GESELLSCHAFTLICHE WERTSCHÄTZUNG ERHÄLT? VIELLEICHT VERGLEICHBAR MIT BERUFEN IN DER PFLEGE ODER GESUNDHEITSFÜRSORGE.
Maria: Am besten wäre es, wenn man
bei den Behörden statt als Prostituierte als Freiberuflerin bezeichnet würde,
eigentlich sind wir Freelancer. Ein Freelancer ist ein Freiberufler, und das
könnte man als Beruf angeben, anstatt ‚Prostituierte‘. Und dann? Wir könnten uns
bei einer Bank vorstellen, wir könnten eine Wohnung mieten. In Ländern wie
Holland arbeiten Prostituierte als Freelancer und sie können deshalb auch leichter
eine Wohnung mieten.
Carmen: Wir brauchen und fordern mehr
Rechte. Dann können wir auch besser mit den Betreibern der Häuser verhandeln
und uns ihnen gegenüber besser durchsetzen. Dann würden wir nicht
diskriminiert.
Maria: Unsere Arbeit müsste wie
jede andere Arbeit auch anerkannt werden. Denn nur so können wir uns in die
Gesellschaft integrieren. Im
Moment haben wir keine Rechte, wir haben keine Stimme, wir haben kein
Mitspracherecht. Wenn
sie ein Gesetz machen, wodurch wir aber keine Wohnungen/Häuser anmieten können,
warum machen sie nicht ein Gesetz, mit dem sie uns eine andere Berufsbezeichnung
geben und dann wird uns die Gesellschaft akzeptieren, denn in Holland
akzeptieren sie die Prostituierten, in der Schweiz weisen die Arbeitspapiere die
Prostituierten als Freelancer aus, dort akzeptieren sie dich und du kannst ein
Haus/eine Wohnung mieten. Eigentlich heißen wir Freelancer, wir sind keine
Prostituierten!
Carmen: Die
Bezeichnung Prostituierte
brandmarkt uns!
Maria: Freiberufler werden von der
Gesellschaft toleriert! Ich kann Freelancer sein, du kannst es sein, sie kann
es sein, jeder! Davon abgesehen, dass die Laufhäuser nicht so viel Geld von uns
verlangen sollten. Denn wir zahlen in diesem Bundesland zum Beispiel mindestens
150 Euro, mindestens! Wir tragen viel zur Gesellschaft bei, obwohl wir nicht
toleriert sind, aber wir werden auch ausgebeutet und wir zahlen diesem Land und
diesem Bundesland Steuern. Dies wird jedoch nicht berücksichtigt. Nichts von
alledem. Sie sollten die Mietkosten für die Laufhäuser reduzieren, damit die
Mädchen ein würdiges Leben haben können, denn bis zu diesem Moment haben wir
kein würdiges Leben, wir arbeiten für diese ausbeutenden Häuser. Wo sollen wir
am Tag 150 Euro verdienen, wir müssen auch essen! Was
hat uns das Gesetz von 2016 also geholfen? Nichts!
Ella: Wichtig
wäre eine andere
Berichterstattung in den Medien, dass nicht mehr nur von Armutsprostitution und
Menschenhandel gesprochen wird, weil man bringt ja auch zum Beispiel
Nagelstudios nicht direkt mit Menschenhandel in Verbindung, obwohl das da auch
zum Teil stattfindet. Einfach eine andere und reale Berichterstattung.
Zuzanna: Und wir brauchen eine
Gleichbehandlung vor dem Gesetz, was bedeuten würde, dass es eines extra
„Prostituiertenschutzgesetzes“ nicht mehr bedarf. Denn es gibt auch kein extra
„Bäckerschutzgesetz“.
(lachen)
In Deutschland gibt es geschätzte 90.000 –110.000 Sexarbeiter*innen, davon sind ca. 45.000 offiziell registriert. In Frankfurt sind ca. 2100 Frauen in der Prostitution tätig, davon ca. 60 % in der Bordellprostitution. Sechs der acht interviewten Frauen sind in der Bordellprostitution tätig, eine arbeitet über eine Vermittlungsagentur. Die Namen der Frauen wurden geändert, um ihre Anonymität zu wahren.
Die Interviews wurden von Doña Carmen auf spanisch oder deutsch
geführt.
Übersetzung spanisch/deutsch: Katharina Müller, Doña Carmen
Übersetzung deutsch/englisch: Kern AG
Ein Projekt von Silke Wagner in
Zusammenarbeit mit Doña
Carmen e.V.
Gefördert durch das Projektstipendium
der Hessischen Kulturstiftung.
Doña Carmen e.V
Verein für soziale und politische
Rechte von Prostituierten
Elbestr. 41
60329 Frankfurt / Main